Sonntag, 15. Februar 2009

»Recreation« Einführungsrede

Rede zur Einführung in die Ausstellung „recreation“ von Kai Nörtemann
Vernissage am 6. Februar 2009, Galerie raum02, Mühldorf am Inn

Meine Herren, meine Damen, liebe Freunde,

als Kai Nörtemann mich vor einiger Zeit fragte, ob ich die Rede zur Eröffnung seiner Ausstellung halten würde, habe ich sofort ja gesagt, denn diese Einladung von einem alten und guten Freund, dessen Kunst ich sehr schätze, war mir eine große Ehre. Zugleich aber erinnerte ich die vielen grauenhaften Reden, die ich selbst schon zu solchen Gelegenheiten hören musste, fast hätte ich dann doch noch abgesagt, aber dann fiel mir ein, dass ich meine Rede beginnen könnte mit einem Zitat und einem Versprechen.
Das Zitat ist aus den Alten Meistern des Sprach- und Schriftkünstlers Thomas Bernhard und geht wie folgt:
"Die Kunsthistoriker sind die eigentlichen Kunstvernichter", sagte Reger. "Die Kunsthistoriker schwätzen so lange über die Kunst, bis sie sie zu Tode geschätzt haben. Mein Gott, denke ich oft, hier auf der Bank sitzend, wenn die Kunsthistoriker ihre hilflosen Herden an mir vorbeitreiben, wie schade um alle diese Menschen, denen von eben diesen Kunsthistorikern die Kunst ausgetrieben wird, endgültig ausgetrieben wird", sagte Reger. "Hinausgejagt aus der Kunstwelt gehören alle Kunsthistoriker, denn die Kunsthistoriker sind die eigentlichen Kunstvernichter und wir sollten uns die Kunst nicht von den Kunsthistorikern als Kunstvernichter vernichten lassen".

Mein Versprechen lautet: Ich werde nicht über die Kunst, die uns hier umgibt, reden. Stattdessen möchte ich einige gedankliche Schlaglichter werfen auf Themen, Assoziationen, Vorstellungen, die, so scheint mir, relevant oder interessant sein könnten, wenn man sich im Anschluss durch diese Rauminstallation begibt.

ERSTES SCHLAGLICHT: ARBEIT
Das Wort „Arbeit“ bedeutet ursprünglich „verwaist sein“, „ein zu schwerer körperlicher Tätigkeit verdingtes Kind sein“, und beschreibt in unserer Kulturgeschichte sehr lange Zeit eine Mühsal, Qual, Plage und Plackerei. Sie finden bereits in der antiken Philosophie, etwa bei Aristoteles, ein Verständnis von Arbeit als eine dem Menschen letztlich unwürdige Tätigkeit, die etwas für Sklaven und Barbaren ist, jedenfalls grundsätzlich unvereinbar mit den Lebensformen, heute würden wir sagen: Lebensweisen, die zu einem guten, glücklichen und tugendhaften Leben führen. Letztendlich ist es erst viele Jahrhunderte später Martin Luther, der in der Arbeit einen sittlichen Wert ausmacht, indem er sie als Dienst an Gott interpretiert.

Natürlich haben dennoch zu jeder Zeit die meisten Menschen gearbeitet, mit Mühsal und Plackerei ihr Leben und Überleben gesichert, aber den „Arbeiter“, die „Arbeiterin“ als eine Standesbezeichnung gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert, seit der Industrialisierung, seit es überhaupt Erwerbs- und Lohnarbeit gibt, und in diesem Zuge auch „Arbeitslosigkeit“, „Erwerbslosigkeit“. Der mittelalterliche Robatter, der Frondienstler, der Knecht, die Magd, der Diener, wird nun zum Fabrikarbeiter, zum Arbeitstier der Fabrik und zum Arbeitstier der Maschine, und taucht dann 1920 zum ersten Mal als Maschinenmensch, als Roboter, in einem Theaterstück von Karl Capek auf.

ZWEITES SCHLAGLICHT: Das Wesen des modernen Angestellten
Schriebe man nun die Geschichte der Arbeit bzw. des arbeitenden Menschen bis in die Gegenwart weiter, müsste man nicht nur von neuen Arbeitsformen sprechen, sondern auch von neuen ArbeitsWesen: neben Arbeitern und Beamten nimmt man dann vorallem Angestellte in den Blick – die meisten von uns hier, statistisch betrachtet fast 60%, sind angestellt. So ist man dann auch schnell bei neuen ArbeitsRäumen angelangt – dem Büro, dem Schreibtisch, dem Meeting, der Präsentation.

Auch könnte man ein ganz neues ArbeitsSprachspiel skizzieren, das sich um „Flexibilität“, „Mobilität“, „Kreativität“ dreht, das „Produktivität“, „Zeitmanagement“ und die Optimierung des work-load verlangt.

In diesen Begriffen, in diesen Räumen scheint sich das Wesen des modernen Angestellten auszudrücken, aber zugleich wird das Wesen des einzelnen Menschen, der der Angestellte ja irgendwie/irgendwo auch noch ist, geradezu verstellt, verdunkelt, vernebelt.

DRITTES SCHLAGLICHT: Der Einzelne
Der Einzelne ist gehalten sein Leistungsprofil zu bessern, indem er arbeitet, aber auch an sich selbst lässt sich vortrefflich arbeiten, man kann sich be-arbeiten. „Selbstmanagement“ durch „Coaching“, Sprachtraining, Körpertraining, Kommunikationstraining, work-life-balance, Life-, Body- und Brain-Enhancement sollen ein optimales Persönlichkeitsprofil verschaffen.

Da fragt man sich doch: Wo bleibt denn bei der ganzen Leistungs- und Persönlichkeitsprofilbildung und Optimierung eigentlich der einzelne Mensch, das Individuum, das im alt-griechichen atomon heißt: der Ungeteilte, Unteilbare, Unersetzbare, Unterscheidbare und Einzigartige? Ein Individualismus als die Betrachtungsweise, in der der einzelne Mensch die zentrale Bezugsgröße der Reflexion ebenso wie der Handlungen ist, scheint in der neuen, wenngleich nicht schönen ArbeitsWelt keinen Ort mehr zu haben.

Recreation also – Entspannung, Erholung, Freizeit - strikte Trennung von privatem Leben, in dem es sich leben lässt, und öffentlichem Leben, in dem man unwiderruflich in Arbeitsprozesse verstrickt ist.

Oder Recreation-Room – das Wartezimmer, indem man das eigene, das eigentliche Leben antichambriert, weil es einem auch im vermeintlich Privaten nicht gelingt, sich aus den Verstrickungen und Verfremdungen, der Abwesenheit von Sich-Selbst zu befreien

VIERTES SCHLAG- und SCHLUßLICHT: Masken
Eine letzte Bedeutungsebene von Recreation, dem Titel dieser Ausstellung, ist „Neuschöpfung“, „Wiederherstellung“. Ein in der klassischen Literatur bekanntes Spiel mit der eigenen Identität, eine Strategie der Neuschöpfung des eigenen Selbst ist die Maskerade, die die eine, die öffentliche Identität, vor den anderen verbirgt, z.B. den eigenen Stand, den Status, das Geschlecht, die körperliche Deformation, um eine andere Identität zu behaupten. Meistens will man mit der Maskerede etwas verstecken, den anderen hinters Licht führen, oder jemanden verführen,aber manchmal dient die Maske dazu, das eigentliche Selbst hervorzubringen.

Der Ausdruck „Person“ bezeichnete ursprünglich persona, die Maske, die der Schauspieler trägt, um eine Rolle überhaupt verkörpern zu können. So ist Bruce Wayne hinter seiner Fledermausmaske doch viel mehr er selbst, als wenn er das öffentliche Kostüm des unnahbaren, milliardenschweren Wohltäters von Gotham City trägt. Der Vigilant mit der Maske ist die selbstgewählte, wahre Identität des Menschen Wayne, der ja über keine Superkräfte verfügt, sondern alles, was er vermag, selbst erschaffen hat – durch Willen, Training, Technik, Bildung.


Ich habe zu Beginn versprochen, nicht über die Kunst, die uns hier umgibt, zu sprechen, oder wie es Bernhard sagen würde, zu schwätzen. Nun würde ich mich sehr freuen, wenn das, worüber ich gesprochen habe, ihre Begegnung mit der Kunst von Kai Nörtemann in irgendeiner Weise ergänzen wird, sei es, weil Sie Gedanken wieder entdecken oder weiterdenken, sei es, dass Sie meine Überlegungen kritisch zurückweisen. In jedem Fall aber hoffe ich, Sie nicht gelangweilt zu haben und danke Ihnen für Ihr zuhören.


Elif Özmen

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